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Hauptbahnhof > Presse-Tor > Berlin ist anstrengend (Darmstädter Echo vom 14.7.2003)
Berlin ist anstrengend
Musical: Begeisterung bei der Premiere von „Linie 1“ zur 700-Jahr-Feier in Heubach

HEUBACH. „Bitte Einsteigen“ hieß es am Wochenende auf dem Heubacher Marktplatz. Der Arbeitergesangverein Liederzweig Groß-Umstadt/Heubach inszenierte zur 700-Jahr-Feier Heubachs ein besonderes Musik-Spektakel. Am Freitagabend war die Premiere des Rock-Musicals „Linie 1“ unter freiem Himmel. Schauplatz der musikalischen Revue ist die U-Bahnlinie 1, die vor dem Mauer-Fall West-Berlin von Westen nach Osten durchquert hat. Sunnie (Katarina Stumpf), ein Mädchen mit Pferdeschwanz-Frisur und Karotten-Hose, hat die Provinz hinter sich gelassen, um in Berlin ihren Traummann, einen Rock-Musiker aus Kreuzberg, wieder zu sehen. Auf ihrer Odyssee im U-Bahn-Dschungel trifft sie skurrile Typen: Punks und Spanner, streitende Familien, Obdachlose, Asylanten-Hasser und aufgetakelte Schulmädchen. In der Ecke sitzt ein knutschendes Schwulen-Pärchen, eine Frau erzählt von ihrem Stuhlgang

und eitrigen Wunden. Wenn Sunnie nach dem Weg fragt, wird sie ausgelacht oder bekommt gar keine Antwort. Von Straßenkindern lernt sie, dass es Liebe nicht gibt. Berlin ist anstrengend. Doch Sunnie verliert die Hoffnung nicht. Mit schrillen Kostümen und beeindruckenden Gesangseinlagen lassen die Akteure unter der Leitung von Inge Geißler mit ihrem dreistündigen Bühnenwerk die achtziger Jahre wieder aufleben. Dass sich unter manch einer Berliner Schnauze der hessische Dialekt durchmogelte, tat der Begeisterung keinen Abbruch – genauso wenig wie manche Aussetzer der Technik. Die aufwendigen Proben von Chor, Solisten und Band haben sich gelohnt: Das Publikum kam in Scharen und war begeistert. Nicht nur auf dem Heubacher Marktplatz, auch in den Seitenstraßen drängten sich die Zuschauer, von denen manche auf mitgebrachten Polstersesseln saßen. Ninette Krüger 14.7.2003